Eine Reise zu evangelischen Gläubigen in Russland

von Uwe Seidner / Wolkendorf

Im September machten sich sieben evangelische Jugendliche und Studenten zusammen mit Pfarrer Dr. Stefan Cosoroaba / Michelsberg und Pfarrer Uwe Seidner./ Wolkendorf auf den Weg in Richtung Osten. Es hieß Kontakt aufnehmen zu Vertretern der Evangelischen Kirche Russlands und anderer postsowjetischen Staaten (ELKRAS). Die Frage, wie deutsches Erbe in anderen ehemaligen kommunistischen Ländern überlebt hat und welches die aktuelle Situation ist, beschäftigte uns auch.

Seit einigen Jahren gibt es in unserer evangelischen Kirche einen Austausch mit der evangelischen Kirche der Ukraine. Gedacht war nun diese Begegnung noch ein Stück auszuweiten, da einer der Hauptträger, Dr. Edmund Ratz, aus Odessa nach Sankt Petersburg umgesiedelt ist und das Amt als Erzbischof bekleidet. Nun soll die Ostbegegnung auch in diese Richtung ausgeweitet werden. Ein konkretes Vorhaben in nächster Zukunft ist der Kirchengemeinde in Moskau ein Taufbecken aus Siebenbürgen zu spenden. Die Renovierungsarbeiten der Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau wurden knapp vor einem Jahr fertiggestellt und die Kirche neu eingeweiht.

Die Reise sollte uns zuerst durch Ostpreußen führen. Auf den Spuren des Deutschen Ritterordens, die 1225 aus dem Burzenland abziehen mussten, da ihr Plan, einen eigenen Ordensstaat zu gründen, vom ungarischen König Andreas II. durchschaut und vereitelt wurde. Nur fünf Jahre später, 1230, verwirklichten sie ihr Vorhaben. Entlang der Flüsse Weichsel und Nogat stieß der Deutsche Orden immer weiter in Richtung Ostsee um die heidnischen Pruzzen zu christianisieren. Heute noch erinnern die mächtigen Burgen und mittelalterlichen Städte – Thorn, Geburtsstadt von Kopernikus, Graudenz, Marienwerder oder der Sitz des Hochmeisters: die Marienburg – durch die wir kamen, an die Zeit der Deutschordensritter. Vorwiegend Siedler aus deutschen Hansestädten wurden hierhin geholt, um die Infrastruktur des Landes aufzubauen.

In Danzig machten wir halt. Unverkennbar ist, dass Danzig einer der vielen Städte an der Ostsee war, die zum Hansebund gehörte. Wenige Tage vor unserer Ankunft in Danzig, wurde hier im Beisein der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem russischen Premier Wladimir Putin und dem polnischen Präsidenten Lech Kaczyński dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf der Westerplatte gedacht. Am 1. September 1939 begann hier der deutsche Angriff auf Polen.

Im Hafen von Danzig

Einblick in die Königsberger Gemeinde

Es ging weiter in die russische Exklave Königsberg / Kaliningrad, umgeben von Staaten der Europäischen Union. In Königsberg trafen wir auf unsere Gastgeber im evangelischen Gemeindezentrum. In Königsberg waren wir bei Gemeindegliedern verteilt untergebracht. So hatten wir die Möglichkeit einen tieferen Einblick zu erhalten. Vormittags feierten wir zusammen mit den Angestellten der Kirchengemeinde Andacht, gehalten von Pastor Alexander Burgart. Im Anschluss kam man ins Gespräch über die Situation und über die Menschen, die zur Kirchengemeinde gehören. Der größte Teil ist nach dem Fall des eisernen Vorhangs nach Deutschland ausgewandert. Einige sind aber geblieben. Der Hausmeister des Gemeindezentrum Alexander Walger erzählte von seinen Beweggründen, wieso er in Königsberg geblieben ist. Königsberg muss noch in preußischer Zeit eine sehr schöne Stadt gewesen sein. Einiges hat den Kommunismus überdauert, so wie die ehemalige evangelische Kirche, wo sich auch das Grab vom berühmten Philosophen Immanuel Kant befindet, oder einige Stadttore und Befestigungen. Aber sehr vieles ist leider in der Breschnew-Zeit verloren gegangen. Man kann nur noch erahnen welche Pracht die Stadt einst trug. Erstaunlicher Weise ist der Name Königsberg nicht mehr so tabu, wie früher. Die neue Generation der Russen die dieses Gebiet nun bewohnen suchen immer mehr nach den alten Wurzeln und es gibt sogar eine Initiative, die vorhandene Bausubstanz zu erhalten. Vieles wurde auch von Deutschland auch restauriert, so wie die evangelische Kirche, die aber als Konzertraum zur Zeit genutzt wird. Die Kirchengemeinde selber musste sich auf dem „Prospekt Mira 101“ eine neue Kirche mit Gemeindezentrum aufbauen. Zur Zeit wird die Gemeinde vor allem auch von der Partnergemeinde Kiel aus Deutschland getragen. Von Probst Jochen Löber, erfuhren wir über die Schwierigkeiten, mit denen man sich im Alltag auseinandersetzt.

Vor der evangelischen Probsteikirche auf dem Mira Prospekt 101 in Königsberg

Im ehemaligen Königsberger Dom, der nun als Konzertsaal dient, fand Immanuel Kant seine letzte Ruhe

Evangelische in den baltischen Ländern

Von Königsberg ging es weiter über die Kurische Nehrung, zwischen Ostsee und Frischen Haff, Richtung Baltikum. Mit der Fähre überquerten wir den Fluss Memel und machten erst in Riga wieder halt. Die Stadt Riga wurde 1201 als Hauptstadt von Livland an der Düna von Bischof Albert von Bremen gegründet. In Riga trafen wir den Auslandspfarrer der EKD (Evangelische Kirche Deutschlands) Martin Grahl und besuchten die Theologische Fakultät. Die Fakultät befindet sich genau am Domplatz, gegenüber des Doms, wo der Gründer der Stadt zur Ruhe gebettet wurde, und wo Johann Gottfried Herder einst in der Domschule unterrichtete.

Von Riga ging es weiter nach Estland. In der Hauptstadt Estland Reval / Tallinn nächtigten wir. Beeindruckend sind die 27 Türme und ihren Wehrmauern die über dem baltischen Meer thronen. Diese Befestigung war im Mittelalter sicher überlebenswichtig, so wie auch unsere Kirchenburgen in Siebenbürgen. In Reval trafen wir Meelis Süld. Er ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche, und gleichzeitig für ein Radio tätig. Von ihm erfuhren wir auch einiges über die Russen in den baltischen Ländern. Es gibt eine große russische Minderheit in Estland. Viele davon haben einen „grauen Pass“, da sie die Sprachprüfung nicht bestanden oder abgelegt haben. Also wurde ihnen die Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt.

Unsere Reise näherte sich nun ihrem Hauptziel: Sankt Petersburg.

Kurische Nehrung

Talinn, einst Reval

Bei Erzbischof Ratz in Sankt Petersburg

Sankt Petersburg ist am Fluss Newa unglaublich schön gelegen. Sehr imposant wirkten die Bauten vergangener Zaren auf uns. Die Evangelische Kirche Sankt Petri befindet sich direkt am Newski Prospekt im Zentrum der Stadt. In Kommunistischer Zeit war ein Schwimmbad in der Kirche untergebracht. Nachdem die Kirche wieder den rechtmäßigen Besitzer erhielt, war es eine unheimlich schwere Arbeit, dem Raum seinen Ursprung wieder zu geben. Im Erdgeschoss der Kirche, wo einst das Schwimmbad war, sind nun Büroräume des Bischofsamtes eingerichtet und im Obergeschoss die eigentliche Kirche. Obwohl die Generalsynode anstand, zu der Bischöfe, Pröbste und Pastoren aus ganz Russland, sowie europäischen als auch asiatische anreisten, nahm sich Erzbischof Edmund Ratz zeit für uns. Wir besichtigten die Ausstellung: „Deutsches Leben in Sankt Petersburg“ und Erzbischof Ratz erzählte uns unter anderem über das Thema der diesjährigen Generalsynode: „Grenzüberschreitende Gemeinschaft“. Das passte ja nur zu gut, zu unserem Vorhaben.

Die Reisgruppe vor dem Winterpalast in Sankt Petersburg

Eine Siebenbürgerin in Moskau

Von den Gräbern der Zaren auf der Petersburg ging es dann zum Lenin – Mausoleum nach Moskau. Unweit vom Kreml, der alten Befestigung Moskau, vor dessen Tore die Bolschewistischen Führer begraben liegen, befindet sich auch die Evangelisch – Lutherische Peter- und Pauls Kathedrale. In kommunistischer Zeit befand sich ei Dia-Film Studio drinnen. Frau Schweizer, die Amtsleiterin der Gemeinde, deren Arbeit wir auch unser russisches Visum zu verdanken haben, nahm uns in Empfang. Frau Schweizer, eine gebürtige Siebenbürgerin, ist mir ihrer Familie als fünfjährige vor der Roten Armee im Krieg nach Österreich geflohen. Arbeitsverhältnisse brachten sie schließlich nach Moskau.

Wir kamen pünktlich zum Abendessen an, wo schon die Pastoren aus den weiten Gebieten aus Russland angereist sind, um dann weiter geschlossen mit dem Nachtzug zur Generalsynode zu fahren. So lernten wir zum Beispiel Probst David Davidowitsch Röhrig kennen. Gleich nachdem der Grundstein der russischen evangelischen Kirche durch Bischof Kalnins gelegt wurde, der die Zeichen der Zeit, also der Perestroika, erkannte, besuchte Röhrig das Theologische Institut in Hermannstadt. In einem Intensivkurs wurden ihm die Grundlagen der Theologie beigebracht. Nun betreut er die Gemeinde im Ural, mit Hauptsitz in Perm. Die Gemeinden in seinem Kirchspiel liegen in einem Umkreis von 1000 km. Manche Lada musste auf den Gemeindebesuchen ihren Geist aufgeben. Ein weiterer Pastor den wir kennen lernten, Segej Wertholz ist als Russlanddeutscher in den neunziger Jahren nach Deutschland ausgewandert. Aber da hielt ihn nichts. Vier Tage lang musste er ununterbrochen unterwegs sein, um Urlaub an seinem Geburtsort im Ural zu machen. Nun dient er als Pastor in den Gemeinden von Baschkirien, im Südural.

Unsere letze Station Moskau hat viele Eindrücke hinterlassen, vor allem positive. Wir durften spüren, dass wir willkommen sind und das für unser Taufbecken aus Siebenbürgen ein Platz in der Kathedrale frei gehalten wird. Von unserer Seite wurde auch das Angebot in den Raum gestellt, eine Gruppe von Jugendlichen der EKRAS, seien diese nun aus Königsberg, Sankt Petersburg, Moskau oder aus dem Ural in Wolkendorf zu empfangen und zu beherbergen. Über Kiew ging es dann wieder nach Hause ins vertraute Siebenbürgen.

Die Reise nahm nach langen 6000 km ihr Ende, aber nicht die Ostbegegnung. Wir haben einen großen Schritt gewagt um Leute und ihre Umstände kennenzulernen. Wir haben feststellen können, dass im Osten nicht die althergebrachten Strukturen herrschen, da diese Kirche eine Neugründung erlebt hat. Zur Zeit hält noch die EKD ihre schützende Hand über diese junge Kirche. Welchen Beitrag könnten wir aus Siebenbürgen leisten?

Ich hoffe, dass die Ostbegegnung mit Gottes Hilfe auch weitere Früchte tragen wird. Schlussfolgernd möchte ich den Gedanken ausdrücken, dass gerade auch wir als nächste „Nachbarn“ gefragt sind Hilfe an die Glaubensgenossen im Osten weiter zu geben, sei es nun ein Taufbecken, ein Jugendaustausch oder eine Partnerschaft mit einer Gemeinde im Ural…

“Krasnaja Ploshad” Der rote Platz

Mit Frau Schweizer vor dem Portal der Pauluskirche. Da soll das Taufbecken seinen Platz finden.

Über den finnischen Meerbusen nach Helsinki