Von Pfr. Uwe Seidner / Wolkendorf
Evangelische Presbyter zu Besuch bei Glaubensgeschwistern in der Ukraine und in Russland
Vom 29. April zum 12. Mai besuchten Vertreter der Gemeinden Wolkendorf, Neustadt und Weidenbach die Schwesterkirche im Osten. Angepeilt waren die Gemeinden in Odessa, Makeewka, Charkow, Moskau und Kiew.
Seit vielen Jahren ist der Blick unserer klein gewordenen evangelischen Kirche in Rumänien westlich ausgerichtet. Nach der Wende wurde unsere Kirche in ihrem Bestand bedroht, bedingt durch die schroffe Abwanderung unserer Kirchenkinder nach Deutschland. Unsere Kirche wurde während dieser Zeit von der EKD nicht im Stich gelassen, sie wurde bestärkt und aufgebaut durch anhaltende Zuwendungen. Nun sind zwanzig Jahre seit der Wende vergangen und unsere Lage hat sich gebessert. Die finsteren Voraussagen sind nicht eingetroffen. Ein Beweis dafür, dass Kirche nicht stirbt und das Wort Jesus Christi lebendig bleibt. Auch merkten wir in den letzten Jahren, dass es evangelische Christen gibt, die noch weiter östlich ansässig sind. Seit einigen Jahren bemühen sich Vertreter unserer klein gewordenen Kirche, den Blick nach Osten zu richten, um Tuchfühlung und Beziehung zu der Schwesterkirche im Osten aufzunehmen. Unsere diesjährige „Ostbegegnung“ hat ihren Anfang vor fast zehn Jahren in Heltau genommen.
Diesmal sollten wir die Lage der evangelisch-lutherischen Gemeinden im Osten besser kennenlernen und über mögliche Unterstützungsformen nachdenken. Den Vertretern vonWolkendorf, NeustadtundWeidenbach war es wichtig, mit den Glaubensgeschwistern im Osten ins Gespräch zu kommen und Erfahrungen auszutauschen. Obwohl beide Seiten eine „rote Vergangenheit“ hinter sich haben, war die Voraussetzung für kirchliche Entfaltung doch eine andere. In Rumänien war immerhin ein Weiterbestehen von Kirche und deutscher Minderheit geduldet, zum Teil sogar gefördert. In der ehemaligen Sowjetunion war das nicht der Fall. Das dauerte bis zur Perestroika. In den neunziger Jahren gab es dann wieder ein Aufbäumen. Es haben sich wieder Christen gefunden, die sich zum evangelischen Glauben bekannten. Und, wie der Phönix aus der Asche, erhob sich eine kleine evangelische Hausgemeinde im Osten und richtete sich wieder auf. Die Anfangsjahre waren schwierig und wechselreich, da auch im Osten ein großer Auswanderungsdrang einsetzte. Nun, so wie auch bei uns, hat sich die Lage inzwischen etwas beruhigt, die Auswanderung nach Deutschland hat nachgelassen und die kirchlichen Amtsträger bemühen sich um Aufbau, Beständigkeit und Ausdauer.
Mit diesen Amtsträgern suchten wir nun das Gespräch.
Ein weiteres wichtiges Anliegen unserer Abordnung, war ein Besuch des Donezk-Beckens. Dieser Besuch sollte der Aufarbeitung unserer Vergangenheit im Bezug auf die Nachkriegszeit dienen. Auch heute noch erinnern sich viele unserer Landsleute an die Verschleppung im Januar 1945. Jeder der Reiseteilnehmer hatte Eltern oder Großeltern, die im Donezk-Becken unter schwersten Bedingungen bis zu fünf Jahren haben arbeiten müssen. Manche der Verschleppten sind nicht wieder heimgekehrt, sie liegen in fremder Erde begraben. Dieses Schicksal traf die Väter einiger Reiseteilnehmer. Während des Kommunismus wurden diese Ereignisse jahrzehntelang verschwiegen. Über den Gräbern in der Region Donezk wollten wir der Opfer dieser Zeit gedenken, freilich im Zeichen der Versöhnung und der Völkerverständigung.
Unser erstes Reiseziel war Odessa am Schwarzen Meer. Auf unserer Fahrt hielten wir in Baschtanowka und Sarata, in Bessarabien. Aus Baschtanowka stammte ein Gemeindeglied aus Weidenbach, Herr Paiuc. Er ist in den Kriegswirren, als junger Mensch gemeinsam mit seinen Eltern vor dem Heranrücken der Roten Armee nach Rumänien geflohen. Auch heute noch wird in diesem Ort rumänisch gesprochen. In Sarata besuchten wir die ehemalige evangelische Kirche, heute von Baptisten benützt. Im Gemeindehaus konnten wir uns anhand einer Ausstellung ein Bild machen über den Wegzug der deutschen Bevölkerung im Jahr 1940 aus Bessarabien: „Heim ins Reich“.
In Odessa durften wir im Haus der Sankt-Pauls-Kirche, dem Sitz des Bischofs, nächtigen. Wir trafen Bischof Uland Spahlinger. Er ist von der Bayrischen Landeskirche für den Dienst in der Deutsch-Evangelischen Kirche der Ukraine entsandt worden. Bischof Spahlinger erzählte uns von den Herausforderungen, vor denen die Evangelische Kirche in der Ukraine steht. Die Kirche zählt heute ungefähr 3000 Mitglieder in über 30 Gemeinden. Zu den Herausforderungen zählen die unterschiedliche Herkunft und das unterschiedliche Frömmigkeitsprofil. Da gilt es, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die junge Kirche hatte nicht die Möglichkeit auf althergebrachte Traditionen zurückzugreifen. Neuausrichtung kann Schwierigkeiten mit sich bringen, im äußersten Fall kommt es zu Spaltungen.
In der Umgebung von Odessa besuchten wir auch ehemalige deutsche Gemeinden des Großliebentaler Gebietes. In den Kriegsjahren diente eine Reihe von Pfarrern aus Siebenbürgen in diesen Gemeinden. Es galt, die Gemeinden, nachdem über ein Jahrzehnt christlicher Glaube untersagt war, im christlichen Glauben wiederzubeleben. In Peterstal/Petrodolina trafen wir Pastor Alexander Gross. Hier steht die einzige evangelische Kirche, die nach der Wende erbaut wurde. Sie sollte eigentlich den Rücksiedlern aus Kasachstan und Kirgisien dienen. Diese sind aber weiter nach Deutschland gegangen. Heute ist hier das Jugendbegegnungszentrum „Gloria“ untergebracht. Pastor Gross bemüht sich sehr, die Jugend zu missionieren und ihnen die Werte des Evangeliums nahezubringen. Wir waren sehr beeindruckt, wie er es schafft, mit so wenig Mitteln so Vieles in Bewegung zu setzen.
Ein Lichtblick der Gemeinde in Odessa ist die Wiedereinweihung der Sankt Paulskirche, nachdem sie gründlich saniert wurde. Lange Jahre stand das Gebäude mitten in der Stadt als Ruine. In den siebziger Jahren wurde dieses schöne neugotische Bauwerk durch Brandstiftung zerstört. Nur durch die kräftige Unterstützung der bayrischen Landeskirche konnte es vor dem Verfall gerettet werden. Bischof Spahlinger erzählte, dass die Kirche früher wie ein Leuchtturm stand, weil sie am höchsten Punkt erbaut worden ist, und vom offenen Meer von jedem Schiff zu sehen war. Heute ist die „Kircha“, wie die Odessiten sie nennen, wieder zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden, auf das alle Bewohner der Stadt stolz sein können. Am 1. Mai, feierten wir in dieser Kirche den Sonntag Quasimodogeniti mit Heiligem Abendmahl. Ich durfte die Predigt halten. Dieser Tag ist für die Russisch-Orthodoxe Kirche der Totensonntag. Die orthodoxen Gläubigen verbringen diesen Tag auf dem Friedhof. An den Gräbern der Heimgegangen wird gegessen und getrunken. Jetzt wussten auch wir, wozu die Tische und Sitzbänke an den Grabsteinen dienten.
Unsere Reise führte uns weiter ins Donezk-Becken. Wir erinnerten uns an die Zwangsverschleppung. Gemeinsam mit Nikolai Schischkin aus der evangelischen Gemeinde Makeevka suchten wir die Stätten der ehemaligen Deportationslager auf. In Jenakiewo, bei einem Gedenkstein hielt Altdechant Klaus Daniel eine Gedenkfeier für die Opfer der Verschleppung. Gräber haben wir keine finden können. Nach 66 Jahren war das wohl auch zu erwarten. Nikolai Schischkin will sich auch weiterhin bemühen, Erkundungen zu diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte einzuholen. In Charkow, der ehemaligen Hauptstadt der Ukraine, – 1934 wurde die Hauptstadt nach Kiew verlegt-, besuchten wir das evangelische Gemeindezentrum. Es steht auch erst seit einigen Jahren. Die ehemalige neugotische Kirche im Stadtzentrum wurde von den Kommunisten in die Luft gesprengt. Unsere Landeskirche hat sich, als dieses Zentrum erbaut wurde, auch bemüht, dieses Unterfangen zu unterstützen, indem eine landeskirchliche Kollekte eingesammelt wurde. Wir trafen hier Pastor Schmechel aus Brasilien und Maryna Los, eine Mitarbeiterin der Gemeinde. Die Eltern von Pastor Schmechel stammten aus Wolhynien, Westukraine. Über die bayrische Landeskirche gelangte er in den Dienst der Gemeinde Charkow. Für ihn eine willkommene Gelegenheit die Heimat der Urahnen kennenzulernen. Charkow ist heute eine sehr lebendige und gut funktionierende Gemeinde.
Aus der ukrainischen Steppe kamen wir nun in die endlosen Birkenwälder Russlands. Auf der Fahrt erinnerte uns so manches Denkmal an vergangene Zeiten. Als wir schließlich mit unserem Kleinbus in Moskau einfuhren, verstanden wir, was der Russe mit „balschoi“ meint. Mitten im Nichts taucht diese Megametropole auf mit ihren siebenspurigen Alleen. In Moskau trafen wir den Bischof des Europäischen Russlands, Dietrich Brauer. Nachdem er ein Jahr bischöflicher Visitator war, wurde er im März im Alter von nur 28 Jahren als Bischof bestätigt. Er stammt aus einer russlanddeutschen Familie und hat am Theologischen Seminar der Evangelisch-Lutherischen Kirche Russlands in Nowosaratowka, bei St. Petersburg, Theologie studiert. Nun steht auch er vor großen Herausforderungen. In der evangelischen Gemeinde Sankt Peter und Paul von Moskau fand vor kurzem ein Strukturwandel statt. Nicht alle begrüßten diesen Gestaltungswandel. Nun gilt es einen gemeinsamen Weg zu finden, und auf Versöhnung hin zu arbeiten. Mit Bischof Brauer sprachen wir unter anderem über die Überreichung eines historischen Taufbeckens aus der Gemeinde Abtsdorf bei Agnetheln an die Moskauer Gemeinde. Bischof Brauer begrüßte dieses Vorhaben und wir hoffen in Zukunft einen passenden Termin für die Überbringung zu finden. Die nötige Vorarbeit und die Genehmigungen dafür wurden von unserer Seite schon eingeholt. Am Sonntag Miserkordias Domini, dem 8. Mai, feierten wir Gottesdienst in der schön hergerichteten Peter- und Paulskirche. Sie diente in sowjetischen Zeiten als Kino und Diafilm Studio. Im Gottesdienst durfte ich ein Grußwort seitens unserer Landeskirche und unseres Bischofs Reinhart Guib ausbringen.
Ein schönes Erlebnis in Moskau war auch das Treffen mit einem Wolkendorfer. Adolf Becker ist seit einigen Jahren als Chefkoch in einer Gaststätte tätig. Er ließ uns seiner Freude über unseren Besuch deutlich spüren. Man trifft nicht jeden Tag Burzenländer in Moskau.
Auf diesen Sonntag folgte der 9. Mai, der Tag des Sieges über Nazideutschland. Als „Den Pobedy“ wird er auch heute noch so euphorisch wie früher gefeiert. Die Vorbereitungen dafür waren schon seit Tagen voll im Gange. Eine Sache hat uns aber vor den Kopf gestoßen: auch zwanzig Jahre nach der Wende, werden die sowjetischen Symbole gehisst und gefeiert. Ein eigenartiges Bild tat sich an dem Roten Platz vor unseren Augen auf: der Rote Stern thronte neben dem Mercedes-Stern. Zwei unterschiedliche Welten stoßen im Zeitalter der Globalisierung aufeinander.
Vom „Den Pobedy“ in Moskau fuhren wir zum „Den Pobedy“ nach Kiew. Wir konnten es voll ausnützen, dass die Straßen an diesem Tag frei waren. Also ging es sehr flott voran nach Kiew. Wir kamen noch rechtzeitig zum Abschlussfeuerwerk. Aber unser Anliegen war ein ganz anderes. In Kiew trafen wir Pfarrer Ralph Haska. Er ist nun seit zwei Jahren schon in Kiew und kommt aus Brandenburg. Wir besichtigten die Katharinenkirche, unweit des Präsidentenpalastes. Pfarrer Haska erzählte uns wie unterschiedlich die Gemeinde in Kiew ist. Die Gottesdienstbesucher reichen von eingesessenen Gemeindegliedern bis zu Botschaftern. Es ist eine sehr buntgemischte Gemeinde, was sich natürlich sehr positiv auswirken kann. Hohe Staatsbesuche gab es auch schon: z.B. Angela Merkel und einige deutsche Staatspräsidenten.
Unsere Reise führte letztendlich über Czernowitz wieder nach Hause. In Czernowitz gingen wir noch abends durch die Herrengasse und erinnerten uns an vergangene Zeiten der K.u.K.-Monarchie. Wir entdeckten das „Deutsche Haus“. Der Vorkriegsbischof Glondys kam aus Czernowitz nach Kronstadt als Stadtpfarrer. Die Spuren deutscher und jüdischer Vergangenheit konnte man noch deutlich erkennen. Auch hörte man ab und zu ein rumänisches Wort.
Nach einer erlebnisreichen und erfüllten Reise kamen wir zu guter Letzt wieder im Burzenland an.
Unser Vorhaben, die Schwesterkirche kennenzulernen, ist uns gelungen und wir haben uns auch schon nächste Ziele gesetzt: wir erwarten in Zukunft Bischof Uland Spahlinger als Gast in unseren Gemeinden, auch wollen wir eine Jungendgruppe der DELKU nach Wolkendorf einladen. Die Gemeinde hat sich bereit erklärt, Kost und Unterkunft zu übernehmen. Wir wollen uns auch weiter mit dem Thema Zwangsverschleppung auseinandersetzen. Vielleicht gelingt es uns über unsere Kontaktperson Nikolai Schischkin, mit den ukrainischen Behörden über ein Mahnmal der Opfer der Zwangsverschleppung ins Donezk-Becken zu verhandeln.
Eine Partnerschaft zwischen Wolkendorf und einer Gemeinde im Osten ist auch gewünscht und soll in absehbarer Zukunft verwirklicht werden. Dieses Vorhaben erhält nach unserer Fahrt immer mehr Konturen.
Und dann bleibt noch das Taufbecken…
1.
1 – Mit Bischof Spahlinger in der evangelischen Kirche in Odessa nach dem Abendmahlsgottesdienst
2.
2- Unsere siebenbürgische Abordnung mit Bischof Uland Spahlinger
3.
3- Andacht beim Gedenkstein auf dem Territorium der ehemaligen Zwangsarbeitslager in Jenakiewa
4.
4- Slava Trudu…
5.
5- Dietrich Brauer, Bischof der Evangelischen Kirche Europäisches Russland in Moskau
6.
6- Evangelischer Sonntagsgottesdienst in der Sankt Paulkirche in Moskau