Studienreise evangelischer Pfarrer A.B. in Rumänien nach Klagenfurt

Vom 27. September – 1. Oktober 2010 machte sich eine Delegation bestehend aus einer gemischten Gruppe von Pfarrern und Jugendlichen auf den Weg nach Klagenfurt in Kärnten, unter der Leitung von Pfarrer Hans Georg Junesch. Die Einladung erging vorwiegend an alle aktiven Pfarrer und Pfarrerinnen unserer Landeskirche, sowie an Mitarbeiter. An dieser Delegation nahmen teil: Dechant Dietrich Galter, Neppendorf, Pfr. Kurt Bolters, Bartholomä, Pfr. Andrei Pinte, Bukarest, Pfr. Andreas Hartig, Zeiden, Pfr. Uwe Seidner, Wolkendorf. Ziel der Reise war die Evangelische Kirche A.B. in Kärnten kennenzulernen und an der wissenschaftlichen Konferenz zum Thema „Grenzen: Grenzenlos“ teilzunehmen.

Unsere bunt gemischte Gruppe von Jugendlichen der Kirchengemeinde Hermannstadt und evangelischen Pfarrern reiste am Montagabend, dem 27. September, gut gelaunt, in Klagenfurt am Wörthersee an, nachdem wir in Ungarn von der Polizei auf naturgeschützte Vögel untersucht wurden. Empfangen wurden wir von dem Kurator der evangelischen Kirchengemeinde Udo Puschnig und von Werner Platzer, Mitarbeiter der Landesamtsdirektion der Landesregierung Kärntens. Anschließend gab es die „Kärntner Jause“. Ab diesem Augenblick hat der Begriff „Jause“ für mich eine neue Bedeutung erhalten. In Siebenbürgen verstanden wir die Jause immer als kleines Pausenbrötchen in der Schule, in Kärnten scheint die Jause ein richtig reich gedecktes Buffet zu sein.

Gut erholt, schritten wir am nächsten Morgen durch das evangelische Klagenfurt und horchten aufmerksam auf die Ausführungen unseres Stadtführers Dr. Alexander Hanisch-Wolfram.

Wir besuchten wichtige Vorzeigebauten wie das Landhaus und den am Ende des 16. Jahrhunderts als protestantische Kirche erbauten heutigen Dom. Das evangelische Klagenfurt hat sich also verändert. Heute ist es wieder vorwiegend katholisch. Zwei Drittel der Bevölkerung bekennen sich zum katholischen Glauben. Einige Jahrhunderte früher hat es etwas anders ausgesehen. Sehr bald ist das evangelische Gedankengut des Martin Luther in die Gebiete des heutigen Österreich eingedrungen. Viele ließen sich von diesen Gedanken überzeugen. Für diese Vielen sollte aber eine schwere Zeit kommen: in der Zeit der Gegenreformation hieß es für diese Gläubigen, entweder Glauben oder Heimat, katholisch werden oder die Heimat verlassen. Wer also nicht wieder den katholischen Glauben annahm und den eigenen evangelischen Glauben behielt, musste seine Heimat verlassen. Viele haben sich für den Glauben entschieden. Die Evangelischen aus dem Salzkammergut fanden eine neue Heimat: in Neppendorf, Großau und Großpold. Pfarrer und Lehrer wurden des Landes verwiesen, die Kirchen enteignet oder zerstört. Während der Verfolgungszeit konnte sich nur in den Gebirgen eine kleine Gruppe von „Geheimprotestanten“ behaupten. Bibeln und Predigtbücher wurden an geheimen Orten aufbewahrt und über beschwerliche und gefährliche Gebirgspfade als „Schmuggelware“ transportiert. Mit dem aufgeklärten Kaiser Josef II. sollte es anders kommen. 1781 erließ er das Toleranzpatent, das evangelisches Leben unter bestimmten Voraussetzungen öffentlich zuließ. Ab nun durften Bethäuser, die von außen nicht als Kirche erkennbar waren, errichtet werden. Diese „Geheimprotestanten“ durften sich zu erkennen geben und wurden zum Fundament der neuen evangelischen Kirche in Österreich.

In Klagenfurt steht seit 1866 die im neugotischen Stil erbaute Johanneskirche, nachdem im Jahr 1861 von Kaiser Franz Joseph I. das „Protestantenpatent“ erlassen wurde. Dieses Schutzrecht brachte eine ungefähre Gleichstellung der evangelischen Kirche mit der katholischen Kirche mit sich.

In die Johanniskirche lud der Klagenfurter evangelische Pfarrer Lutz Lehmann zur Abendandacht ein. Anschließend wurden wir zum „Evangelischen Club“ eingeladen. Früher war dies der evangelische Jugendclub; der ist aber nun erwachsen geworden. Seit 55 Jahren besteht er und seine Mitglieder sind treu geblieben. Erzählungen und Fotos im Clubhaus von vergangenen Reisen mit dem Fahrrad in die Türkei oder mit dem „Käfer“ in den Iran können begeistern.

Am Mittwoch, dem 29. September, war Konferenztag angesagt. Veranstalter dieser Konferenz war die Kärntner Landesregierung. Es hieß: „Grenzen: Grenzenlos“. Diese Tagung sollte einen thematischen Bogen von 1918 bis heute spannen und die Bedeutung von Grenzziehung, Grenzerfahrung und die Kärntner Volksabstimmung von 1920 beleuchten. Es sind 90 Jahre her als die überwiegend von Slowenen bewohnten Gebieten im Südosten Kärntens über ihre staatliche Zugehörigkeit nach dem Ersten Weltkrieg entschieden haben. Die slowenische Volksgruppe machte 70% der Gesamtbevölkerung aus. Fast 60% aller Stimmen gingen dabei an Österreich. Internationale Referenten setzten sich mit dem Thema Grenzziehung und Grenzerfahrung auseinander. Landeshauptmann Gerhard Dörfler eröffnete die Tagung. In seiner Rede betonte er, dass es wichtig sei, die Leistung der Menschen von damals, aber auch das zukunftsorientierte Bild von Kärnten zu würdigen. In unserer Abordnung gehörte Dechant Dietrich Galter zu den Vortragenden. Er referierte zum Thema „Zwischen Orient und Okzident – Siebenbürgen am Drehkreuz der Geschichte“. Journalist Jan Dietrichsen veranschaulichte uns auf sehr lebendige Weise das Leben und Zusammenleben einer deutschen Minderheit in Dänemark. Erwähnenswert ist auch der Vortrag des Kiewer Professor Ihor Zhaloba: „Die Staatsgrenze der Ukraine 1918 – 2010: historische Entstehung und heutiger Zustand.“ Allerdings habe ich bei diesem Vortrag die Problemstellung „Donaudelta“ bzw. Bistroekanal und „Schlangeninsel“ vermisst. Gespannt folgten wir auch dem Vortrag von Nils Abraham / Greifswald „Von der Teilung 1945/49 bis zur Einheit Deutschlands 1990 – vier Jahrzehnte innerdeutsche Grenze“.

Wir erhielten einen interessanten Überblick über die Situation des Landes Kärntens, es wurde aber auch so an einige „Grenzerfahrungen“, sowohl vor der Wende als auch nach Wende erinnert.

Am Donnerstag, dem 30. September, besuchten wir in Fresach die Baustelle, wo 2011 eine Landesaustellung stattfinden soll. Das Motto heißt: „Glaubwürdig bleiben – 500 Jahre Protestantismus in Kärnten“. Im Vorfeld haben wir über den beschwerlichen Weg der evangelischen Kirche in Österreich durch Gegenreformation und „Geheimprotestantismus“ erfahren. Die Ausstellung möchte konkrete Frage beantworten. Was hat die Menschen damals bewegt an ihrem (verbotenen) Glauben festzuhalten? Was haben die Menschen damals alles für ihren Glauben getan? Es soll aber nicht nur beim „damals“ bleiben. Genau dieselbe Frage können wir uns in der Gegenwart stellen: was sind wir heute bereit, für unseren Glauben, unsere Überzeugungen zu leisten? Wie kann es uns selbst gelingen, glaubwürdig zu bleiben? Geschichte und Gegenwart fließen an einem Ort zusammen.

Etwas ganz besonders ist es, dass Jugendliche aus ganz Kärnten zu Vermittlern ausgebildet werden, um Geschichte zu vermitteln. Dadurch werden die Ausstellungsgegenstände und ihre Beziehung zur Gegenwart umso lebendiger. So ein Modell kann sich als gute Anregung für unsere Jugendlichen erweisen sich in einer ähnlichen Weise in der Heimatkirche einzubringen.

Ausführliche Erläuterungen erhielten wir von Superintendent Manfred Sauer und Pfarrer Lutz Lehmann vor Ort. Die Landesregierung unterstützt dieses Projekt kräftig. Dafür wird ein Neubau hergerichtet, aber auch Kirche und Pfarrhaus werden hergerichtet. Siebenbürgen wird bei dieser Ausstellung auch seinen Beitrag leisten. Die Ausstellung „Die Landler – 275 Jahre in Siebenbürgen“ wird von der Kirchengemeinde Neppendorf und der Evangelischen Akademie Siebenbürgens kostenlos zur Verfügung gestellt.

Abschließend kann gesagt werden, dass diese Reise ein gelungenes Unterfangen war. Außer den spannenden Aufschlüssen, die uns zugetragen wurden, konnte man auch gut ins Gespräch kommen. Ein Erfolg dieser Gespräche ist die Beteiligung unsererseits an der Ausstellung bei der Landesausstellung in Fresach. Für die Hermannstädter ist die Partnerschaft zu Klagenfurt ein Riesengewinn. Dank dem Kurator Udo Puschnig, haben wir die Gewissheit, dass „Freundschaft über Grenzen hinweg“ wirken kann.

Uwe Seidner / Wolkendorf